Categories
Allgemein

Lockes Eingangsstatement

Das folgende Statement wurde vin Locke vor dem Gericht gehalten.

ZUR PERSON

Sehr gerne möchte ich mich zu meiner Person äußern, oder anders gesagt sehe ich es als notwendig, da sie doch ein wesentlicher Bestandteil dieses Prozesses ist. Denn im Sinne des französischen Philosophen Michel Foucault, der das heutige Straf- und vor allem Gefängnissystem in den siebzigern sehr genau in seiner Herkunft und seinen Ursprüngen untersucht und kritisiert hat liegt viel mehr der Delinquent, also in diesem Fall ich, im Mittelpunkt des Verfahrens als unter Umständen die Tat selbst. Ginge es beispielsweise heute um einen Drogen- oder Diebstahlsdelikt, dürfte mir die Behauptung von einem stabilen Leben, Arbeit, Studium und gesicherten Verhältnissen unter Umständen ein anderes Urteil einbringen als Arbeitslosigkeit, Armut und Sucht.

Dabei könnte in diesem Prozess genau so gut eine andere Person sitzen und ich möchte mich keineswegs in den Mittelpunkt stellen. Aber gerade Eckdaten meiner Person und meiner Biographie sind von Bedeutung für den hier verhandelten Prozess, sind jedoch eher exemplarisch für Teile meiner Generation.

Bevor ich dazu beginnen möchte ich noch kurz eine Formalität in meiner Sprache anmerken um Verwirrungen zu vermeiden. Wenn in meinen Äußerungen Personenbezeichnungen auftauchen sollten, die nicht geschlechtsneutral sind, also nur ein Geschlecht benennen, wird die meist männliche Bezeichnung durch den Zusatz „*innen“ erweitert. Damit möchte ich sämtliche sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten, auch außerhalb der beiden Pole oder gar des ganzen Spektrums der binären heteronormativen Norm, abbilden und mitdenken. Ebenso werde ich statt des Pronomens „man“ „mensch“ benutzen.

Aber nun zu mir. Zu meiner Biographie gehört zunächst, die sehr offensichtliche Tatsache, das ich weiß bin und damit nicht von Rassismus oder rassistischen Einschreibungen als Person betroffen bin. Im Gegenteil, viel eher werde ich diese wohl auch unterbewusst praktizieren und bin ganz klar in einer Machtposition, denn Rassismus gegen weiße Menschen gibt es nicht, da wir stets in der privilegierten Position sind.

Wäre ich nun nicht weiß, so wüsste ich nicht, ob ich die Räumung und den 38 stündigen Polizeigewahrsam so unbeschadet überstanden hätte, ich möchte nur an Oury Jalloh oder Amad Ahmad, der 2018 unter ungeklärten Umständen in einer Zelle starb, nach dem er aufgrund einer Verwechslung in Haft gesteckt worden war, erinnern.

Außerdem frage ich mich, ob ich mich aufgrund zahlreicher einschränkender, diskriminierender Begegnungen wie ständige Kontrollen durch racial profiling und Drangsalierungen auf offener Straße durch die Polizei zuvor überhaupt getraut hätte, durch politische Äußerung und Aktion ein Risiko unguter Begegnungen mit der Polizei einzugehen.

Wäre ich außerdem nicht im globalen Norden in Deutschland geboren, sondern im globalen Süden, so hätte ich wohl noch weniger die Chance bekommen, hier Protest zu äußern. Wäre ich doch tagtäglich mehr damit beschäftigt mit den konkreten Folgen des Klimawandels auszukommen und zu überleben. Hätte ich es geschafft Kriegen und Hunger vermeintlich zu entfliehen und hätte es über die tödliche EU-Außengrenze nach Deutschland geschafft, würde ich vermutlich mit einem prekären Aufenthaltsstatus hier leben und würde mir damit doch zwei mal überlegen mich politisch zu äußern und einzubringen.

Aber ich komme aus dem globalen Norden, bin in Deutschland geboren, bin cis-männlich, wurde also als Mann geboren, würde mich auch als solcher bezeichnen oder fühle mich so und genieße die damit verbunden Privilegien, auch wenn ich versuche diese zu hinterfragen und ihnen entgegenzutreten, was mir bestimmt aber häufig nicht gelingt. Außerdem bin ich soweit ich weiß gesund und habe durchaus eine privilegierte Herkunft mit einer sorgenfreien Kindheit, stabilen wirtschaftlichen Verhältnissen elterlicherseits, keinen schweren Schicksalsschlägen wie beispielsweise Unfällen und Krankheiten und habe das Privileg zu studieren.

Und damit kann ich wohl sagen, bin ich mehr als schuldig, doch wohl weniger wegen dem, was heute hier verhandelt wird, sondern aufgrund meines Lebensstil und allein der Tatsache wo ich geboren wurde und lebe, was ja auch auf die meisten hier im Saal Versammelten zutreffen wird.

Ich bin, um es so auszudrücken, eine weiße Kartoffel mit verdammt vielen Privilegien, die konsumiert und konsumiert und damit massiv das Klima und damit auch Menschen im globalen Süden aber auch hier in meiner Region, Stadt und Nachbar*innenschaft schädigt.

Wenn ich denn wenigstens dabei geblieben wäre deutsche Kartoffeln zu essen würde das schon viel helfen. Eine gute deutsche klassische Kartoffel verbraucht in Anbau, Ernte und Transport bis zu mir auf den Teller deutlich weniger wertvolle Ressourcen und emittiert deutlich weniger Treibhausgase als beispielsweise Fleisch. Die Produktion eines Kilo Rindfleischs verursacht zwischen sieben und 28 mal mehr Treibhausgasemissionen als ein Kilo Obst oder Gemüse. Und das sagen nicht nur Veganer*innen sondern auch das Umweltbundesamt.i

Doch das eine ist das Essen von weit her, das andere auch unser Reisen in ferne Gefilde. Nach dem Abitur bin ich nach Südostasien gereist. Damals konnte ich nur ahnen, was für ein ungeheures Privileg das war. Auch heute kann ich das wohl noch nicht richtig überblicken. Die Zeit schätzte 2019, das wohl 80 bis 90%ii der Weltbevölkerung noch nie ein Flugzeug betreten hatten. Die konnten also nicht mal eben auf die andere Seite des Globus jetten und sich ein vorurteilsbehaftetes Bild von oben herab bilden. Laut der Deutschen Welle gibt es „bezogen auf den Einzelnen […] keine andere menschliche Aktivität, die in so kurzer Zeit so hohe Emissionen verursacht wie die Luftfahrt“. iii

Es gäbe noch zahlreiche weitere Beispiele unseren Lebensstil hier in den Kontext des Klimawandels einzuordnen und die Verantwortlichkeit für diesen heraus zu arbeiten, sei es der Verkehr bei uns hier als Quelle eines Fünftels der deutschen CO2-Emmissioneniv, die Nutzung elektronischer Geräte wie Smartphones und Computer mit ihrem großen Verbrauch von Ressourcen, die bei ihrem Abbau zu massiven Umweltschäden führen, wie Lithium oder der Bau von Häusern und Infrastruktur mit hohem Treibhausgasausstoß bei der Zementherstellung.

All diese Dinge geschehen natürlich überall auf der Welt, doch gerade wir hier in Deutschland und Westeuropa haben besonderen Anteil. Während hier der durchschnittliche CO2-Ausstoß in einem Jahr pro Kopf je nach Schätzung 9 bis 10 Tonnen beträgt, liegt er in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Latein- und Südamerikas weit unter einer Tonne pro Kopf. Und das ist nicht erst seit kurzem so, viel mehr stießen wir im globalen Norden schon immer mehr Emissionen aus und arbeiteten fleißig an der Ausbeutung und Zerstörung des globalen Südens. Die Länder der EU sind laut der Bundeszentrale für politische Bildung für 27% der historischen Emissionen verantwortlich, obwohl hier heute nur ein sechzehntel der Weltbevölkerung lebt. Wir hier und unsere Vorfahren haben also einen ganz schön großen Batzen der CO2 Emissionen der Welt zu verantworten. Das lässt sich wohl als imperiale Lebensweise bezeichnen.

Soviel zu diesem durchaus deprimierenden Teil, der zeigte wie wir alle hier und unsere Lebensweise massiv zum Klimawandel und Schäden hier und anderswo auf der Welt beiträgt. Ich glaube diese Schäden und Folgen des Klimawandels sind uns allen bekannt, später werde ich aber noch mehr dazu sagen.

Damit lässt sich durchaus eine Schuld darstellen, eine globale Schuld, die wir im globalen Norden, also sie und ich tragen. Diese Schuld ist durchaus auch historisch, da wir nur aufgrund massiver zurückliegender und anhaltender Ausbeutung durch den Kolonialismus unser Leben so führen können wie wir es heute tun. Gleichzeitig sind wir sehr gut daran diese Schuld und Ungerechtigkeit zu ignorieren und auszublenden,. Lieber schnell die Nachrichten weg klicken.

Wenn wir das nun aber nicht mehr in Gänze ignorieren wollen und versuchen wollen etwas zu verändern, stellt sich die Frage, wie.

Wie nun gegen diesen Ausverkauf der Erde vorgehen?

Klar kann ich bei mir ansetzen und kritisch und möglichst nachhaltig konsumieren oder es zumindest versuchen. Das ist wohl schon einmal ein erster Schritt. Doch dabei sind mir enorme Grenzen gesetzt. Da ist zum einen das Finanzielle. Regional und ökologisch zu konsumieren kann teuer sein und das gibt es auch nicht immer im normalen Supermarkt, ich brauche also Zeit und Geld um besser zu konsumieren. Und wenn, was ist dann richtig? In einer auf Profit und Kosteneffizienz ausgerichteten Weltwirtschaft und damit auch Nahrungsmittelproduktion ist es schwierig auch nur ein wirklich gutes Produkt zu finden, das ich mir auch leisten kann und allen Anforderungen inpuncto Gesundheit, Ökologie, Nachhaltigkeit und Sozialem erfüllt. Selbst wenn das ökologische stimmt, sind vielleicht die Löhne der Anbauenden zu niedrig oder Folgen für Grundwasser oder Böden wurden nicht mitbedacht. Gängige Zertifikate sind oft mehr als unzureichend um im Sinne einer Verwertungslogik angelegt, die nie sämtliche Folgen in den Blick nehmen will.

So lange ein Wirtschaftssystem grenzenloses Wachstum als Grundlage hat, stehen wirtschaftliche Interessen immer in Konflikt mit dem Schutz der Natur und ihren begrenzten Ressourcen. Die Ausbeutung der Natur ist also obligatorisch. Ein europäisches Unternehmen, dessen Profite durch örtliche Umweltvorschriften gefährdet sind, verlagert seinen Standort kurzerhand in Länder, in denen diese Vorschriften nicht gelten.

Außerdem stellt sich mir die Frage, was kann mein Konsum verändern? Klar ein bisschen, aber doch wenig. Zumal ich es keinem mensch übel nehmen kann, anders einzukaufen, weil dieser mensch sich nichts anderes leisten kann. Und wenn ich nur die Wahl zwischen größeren und kleineren Übeln an Produkten habe, wie soll ich damit umgehen?

Auch habe ich in vielen Bereichen doch nur wenig Möglichkeit durch meinen Konsum etwas zu verändern. Viel eher wird meine Gutgläubigkeit und mein Glaube an guten Konsum doch viel zu oft ausgenutzt.

Jetzt denken sie sich wahrscheinlich, na denn gehen Sie doch wählen oder in die Politik, werden Teil einer Partei und verändern so etwas. Doch gerade wir in Baden-Württemberg müssten doch eigentlich wissen, das auch das keine Lösung sein kann. Seit 10 Jahren haben wir eine grüne Landesregierung und passiert ist: wenig!

Ich glaube es führt zu weit, hier eine grundlegendere Kritik an der unzureichenden parlamentarischen Demokratie und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem zu formulieren. Doch ich glaube auch, das uns allen hier klar sein dürfte, das unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten nicht funktionieren kann und wir schon jetzt sehen, das unser Wirtschaftssystem nicht dazu taugt, wirklich effektiv eine Veränderung zu erwirken um den Klimawandel abzuschwächen. Zerstörung von Ökosystemen zum Abbau von Lithium für unsere Elektroautos, kann wohl beispielsweise kaum die Lösung sein.

Bewusst spreche ich hier von abschwächen, ein Verhindern des Klimawandels ist wohl nicht mehr möglich, wir können nur noch versuchen es ein bisschen weniger schlimm zu machen als es ohnehin wird.

Und offensichtlich ist die Politik dieses Landes oder auch global nicht dazu in der Lage effektiv der Ausbeutung unseres Ökosystems und unsere Lebensgrundlage etwas entgegenzusetzen.

Im Pariser Klimaabkommen von 2014 in Paris hat sich Deutschland zwar verpflichtet, der Klimakrise Einhalt zu gebieten. Doch die Medien sind voll von Berichten, das die versprochenen Ziele bei weitem nicht eingehalten werden.

Eine Politik der „Selbsterhaltung statt Gestaltung“, so stand es kürzlich in der Taz, ist nicht in der Lage Veränderungen anzustoßen. Sie fixiert sich viel mehr am Erhalt von Ämtern und Bürokratie, beharrt im Alten und reagiert wenn dann verzögert, meist zu spät. Ihre festgefahrenen Strukturen verunmöglichen eine wirkliche Veränderung. Und damit bleibt wenig Raum, gegen diesen Ausverkauf oder besser Schlussverkauf unserer wertvollsten und lebensnotwendigen Ressourcen wie Luft, Wasser, Böden und dem Ökosystem an sich vorzugehen. Im Zweifelsfall nur einer, der über geltende politische Möglichkeiten und Normen hinaus zu gehen hat. Für mich bleibt daher nur der Weg des zivilen Ungehorsams. Das ist für mich moralisch begründeter und legitimer Protest, bei welchem bewusste gegebene Gesetze und Normen überschritten und hinterfragt werden.

Wie bereits aufgezählt, habe ich als Person oder meine Biographie hier das Privileg, Repression leichter in Kauf nehmen zu können,

Der Kampf gegen den Klimawandel und damit verbunden die kapitalistische Marktwirtschaft und besonders gegen ihre Vertreter*innen in Form von Firmen wie RWE, Vattenfall und co ist ein globaler. Damit kämpfe ich nicht als weißer Samariter für den globalen Süden, sondern vielmehr mit und auch einfach für mich und meine Familie und Freunde, die jetzt schon ebenfalls vom Klimawandel betroffen sind und es auch immer mehr sein werden.

ihttps://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/ernaehrung-der-deutschen-belastet-das-klima

iihttps://www.zeit.de/wissen/umwelt/2019-05/flugverzicht-klimapolitik-emissionen-verantwortung-privileg?utm_referrer=https%3A%2F%2Fduckduckgo.com%2F

iiihttps://www.dw.com/de/der-klimawandel-und-das-fliegen/a-42094220

ivhttps://www.hvv-schulprojekte.de/unterrichtsmaterialien/emissionen-co2/